Bremer Strahlenwaffen

admin am 8. August 2010 um 21:29

2008 strahlte die ARD im Ersten den Tatort “Strahlende Zukunft” aus, der heute wiederholt wird. Damals schrieb ich den folgenden Text, den ich der Wiederholung wegen nochmal online stelle (Zeitangaben noch von damals):

Radio Bremen ist die kleinste der neun ARD-Anstalten. Der Sender, der ohne eigene Fernsehfrequenz auskommen muss und auf Fenster im Programm des NDR angewiesen ist, produziert auch nur noch ein Prozent der Inhalte des Gesamtprogramms der ARD. Dafür wird es deftig, wenn die Fernsehmacher aus dem kleinsten Bundesland ans Werk gehen. In der Stadt an der Weser verrichten die Tatort-Kommissare Inga Lürsen (Sabine Postel) und ihr Partner Stedefreund (Oliver Mommsen) Dienst. Was die Drehbuchautoren ihnen dabei zumuten, lässt aus dem „Dorf mit Straßenbahn“, wie die Bremer ihre Großstadt selbst bezeichnen, eine Metropole der finstersten Abgründe werden – eher ein Ort für Mulder und Scully, die beiden FBI-Agenten, die es in der US-Serie Akte X mit Außerirdischen und anderen paranormalen Phänomenen zu tun haben.

Jüngster Höhepunkt: der Tatort „Strahlende Zukunft“, dem das Kunststück gelang, am nächsten Morgen Titelthema der Bild zu sein. „Nach Krebs-Drama im ‚Tatort’ / Strahlen-Angst! / Machen Handys und Funkmasten wirklich krank?“ titelte die Königin der Boulevardzeitungen und zielte damit auf die selben Ängste, die Drehbuchautor Christian Jeltsch in seinem Film ins Visier nahm. Kunst und Yellow-Press in trauter Eintracht.

Da ist eine Mutter, die behauptet, dass ihr Kind an Leukämie in Folge der Handystrahlung gestorben sei. Mit Demos und Flugblättern geht sie gegen den Mobilfunkbetreiber „2 Wave“ und dessen Funkmasten vor. Der entledigt sich seiner lästigen Kritikerin, indem er sie mit Mikrowellenwaffen bestrahlen lässt. Doch niemand glaubt ihr und Richter, Staatsanwälte und ein Psychiater schieben die Frau zwangsweise und im Auftrag der fiesen Mobilfunkfirma in die Klapse ab. Nachdem sie den Richter nach ihrer Entlassung getötet hat, richtet sie sich selbst. Ihr Sohn zwingt die Polizei zur Aufarbeitung ihrer Geschichte.

„Wenn ich es nicht für absurd hielte, hätte ich es nicht erzählt“, sagt Christian Jeltsch. Und wenn die Zuschauer es nicht so ernst genommen hätten, wäre kein lebhafter Chat nach dem Film auf den Internetseiten von Radio-Bremen gelaufen und Bild hätte sich nicht in Aufklärerpose begeben müssen. Die Frage, ob Handys krank machen, beantwortet das Blatt mit einem klaren Jein. Wobei der negative Teil der Antwort immer daraus besteht, dass zwar nichts bewiesen sei, Studien eher das Gegenteil aussagen, aber Zweifel blieben.

Das ist auch Jeltschs Strategie: „Eindeutig wissen werden wir das, laut Experten, in zehn bis 20 Jahren.“ Und bis dahin kann man noch ordentlich Angst verbreiten und die Technologie- und Fortschrittsangst schüren. Damit bedient der Autor ein Ressentiment. Ob Gentechnik, Weichmacher in Spielzeugen oder eben „Elektrosmog“, der Kampfbegriff unter dem auch Handystrahlung gesammelt wird – am Ende gehört alles nicht nur irgendwie zusammen sondern ist auch Ausdruck unkontrollierter Macht von Konzernen, des Kapitalismus‘ allgemein. Im Film eiskalt verkörpert durch „2 Wave“.

Wie man mit Ressentiments spielt und um sie herum handwerklich ordentliche Filme schreibt, weiß Jeltsch. Vor zwei Jahren nahm er sich den 11. September als Tatort-Plot vor – die antiamerikanische Stimmung hatte in Deutschland ihren bis heute dauernden Höhepunkt schon erreicht. In „Scheherazade“ taucht eine verwirrte junge Frau bei den beiden Kommissaren auf. Ihr Freund, der in den 11. September verwickelt wäre, sei brutal ermordet worden. Zwar findet sich keine Leiche, aber Jeltsch kann eben, wie im Falle „Strahlende Zukunft“ auch ohne Mordfall eine packende Geschichte schreiben. 90 Minuten werden die auch schon damals gängigen Verschwörungstheorien zur Katastrophe vor der Weserkulisse gezeigt. Ein Ende fehlt, der sonst so verlässliche Tatort, in dem die Guten immer siegen, legt zumindest den Schluss, die Amerikaner selbst hätten die Attentate inszeniert, nicht unerreichbar fern.

Die Regisseure Claudia Prietzel und Peter Henning machen auch keine Anstalten, sich von den unzählige Male widerlegten Thesen zu distanzieren: „Welche Rolle spielt eigentlich die CIA in der Welt?“ fragt sich Henning und Frau Prietzel hat nach Filmen von Michael Moore gelernt, „hier stimmt etwas nicht“. Mittlerweile weiß man, dass mit Moores Filmen ganz viel nicht stimmt. Sogar im Team habe man die „Riesendiskussion“ über den 11. 9. geführt, sagt Prietzel – ganz so, als ginge es um Geschmacksfragen. Und Drehbuchautor Jeltsch freute sich, die „Möglichkeit zu haben, ein Weltereignis mit anderen Augen zu sehen“. Außerdem sei es ihm in „Scheherazade“ um das Thema Paranoia gegangen.

Geschmacklos fand das bei Radio Bremen niemand. Und auch bei „Strahlende Zukunft“ hat man keine Bauchschmerzen. Sendersprecher Michael Glöckner: „Wir wollen keine Ängste schüren.“ Gerade der Radio-Bremen-Tatort nehme sich „gesellschaftlich relevanter Themen“ an. Es handele sich um „reale Befürchtungen“ und die Reaktionen der Zuschauer hätten die Fernsehmacher bestätigt.

An einem solchen relevanten Thema wird schon wieder gearbeitet. Der nächste Einsatz in Bremen ist im kommenden Frühjahr. Es wird um Ehrenmorde gehen.

Post für den Tagesspiegel

admin am 23. July 2010 um 09:14

Die Titanic hat dem Tagesspiegel ein paar Sätze nach meinem Interview mit dem Generalsekretär des Zentralrats der Juden geschickt. Hier entlang.

Ist die Linke antisemitisch?

admin am 19. July 2010 um 12:05

Dass die Partei auf dem besten Wege dahin ist, sagt der Gießener Sozialwissenschaftler Samuel Salzborn, mit dem ich mich darüber für den Kölner Stadt-Anzeiger unterhalten habe. Hier entlang.

Gefühltes Privatfernsehen

admin am 11. July 2010 um 13:41

ARD und ZDF unterscheiden sich bei der Übertragung der Fußball-WM kaum noch von RTL. Um die hohen Ausgaben für die Übertragungsrechte wieder reinzuholen, heben die Sender Werbung ins Programm, als seien sie Private.

Kölner Stadt-Anzeiger, 10. Juli 2010

Kuscheln mit Stephan J. Kramer

admin am 6. July 2010 um 11:28

Dieses Interview führte ich für den FOCUS vor nicht allzu langer Zeit mit dem Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan J. Kramer. Darin fragte ich ihn auch nach dem Text von Iris Hefets von der “Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden”, der zuvor in der “taz” erschien: „Bevor ein junger Israeli zur Armee geht, muss er mindestens einmal Suff, Sex und eine Auschwitzreise erlebt haben”, schrieb Hefets und beklagte einen “Schoah-Kult”.

Kramer dazu im Gespräch mit mir: “Die vermeintlich guten alten Zeiten, in denen man als jüdischer Vertreter in Debatten vor Angriffen per Definition geschützt war, sind vorbei. Das gilt auch für Attacken, deren Urheber offensichtlich keine Kinderstube genossen haben. Aber da bin ich froh drüber. Diese Kuscheldiskussionen vergangener Tage haben niemandem genützt. Mir ist es lieber, dass mir jemand ins Gesicht sagt, ‘Du bist ein dreckiger Jude’, als dass er es hintenrum macht. Denn dann kann man sich auch zur Wehr setzen.”

Mit der “taz” und Hefets hat sich Kramer nun komischerweise zum Kuscheln getroffen. Verstehe den Mann, wer will. . .

Ein Judenpogrom 2.0

admin am 5. July 2010 um 21:14

Auf Facebook grassiert der Antisemitsmus in Wellen und die Betreiber bekommen die virtuellen Ausschreitungen nicht in den Griff. Warum das so ist?

Hier entlang: Kölner Stadt-Anzeiger, 10. Juni 2010